Wenn einer eine Reise tut .... Teil 1

Wenn einer eine Reise tut .... Teil 1

In unserem letzten Blog hatten wir euch ja bereits angekündigt, dass es heute um ein ganz anderes Thema geht. Wie ihr alle wisst, bestehen die Kapverden nicht nur aus Boa Vista. Es gibt noch 8 weitere bewohnte Inseln. Die meisten Menschen, die auf Boa Vista arbeiten, kommen ursprünglich von anderen Inseln. So geht es auch unserem Mitarbeiter Misael. Seine Familie lebt auf São Vicente und Santo Antão.

 

Nach dem Boa Vista am 20.3.2020 durch den ersten Corona-Fall "stillgelegt" wurde, wollte Misael eigentlich ein paar Tage später zu seiner Familie reisen, denn es war klar, dass wir nun für einige Zeit eine "Zwangspause" einlegen müssen. Leider machte ihm die Regierung einen Strich durch die Rechnung, denn bereits ein paar Tage später wurden sämtliche Verbindungen zwischen den Inseln gekappt.

Seit einigen Wochen sind Reisen mit der Fähre zwischen den Inseln wieder möglich. Da hier auf der Insel bzgl. Tourismus immer noch alles still liegt, wollte Misael nun doch die Chance ergreifen.

 

Heute geht es erstmal um das Abenteuer "Fähre fahren zwischen den Inseln". Lasst euch überraschen, was er in seinem Urlaub alles erlebt. An einigen Geschichten wird Misael uns teilhaben lassen.

Bevor es überhaupt los geht

Es ist Donnerstag 9. Juli 2020. Heute um 15 Uhr soll es losgehen. Ich fahre mit der Fähre nach São Vicente. Leider handelt es sich um keines der wirklich schnellen Schiffe, ich muss mich also auf eine längere Fahrt gefasst machen.

 

2 Stunden vor Abfahrt sollen sich alle Passagiere im Hafen einfinden, bedeutet für mich also 13 Uhr. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass es jede Menge Unsicherheiten bzgl. der Zeitpläne der Schiffe gibt und so erlebe ich schon um 12 Uhr die erste Überraschung: die Agentur ruft mich an und teil mir mit, dass das Schiff Verspätung hat. Es geht erst um 19 Uhr los. Zum Glück wurde ich dieses Mal informiert. Ich erinnere mich an eine Reise, bei der ich 8 Stunden im Hafen mit Warten verbracht habe. Ok - ich habe also noch etwas Zeit zum Ausruhen. Um 17 Uhr dann ein weiterer Anruf: es geht bereits um 17.30 Uhr los.

9. Juli 2020 - 17 Uhr

Der einfachste Teil meiner Reise ist die Anfahrt zum Hafen - ganze 5 Minuten. Mir wird aber schnell klar, dass es noch zu einiger Wartezeit kommen wird. Erstaunlich viele Menschen warten bereits am Hafen. Mehr als die Hälfte davon sind allerdings Freunde und Familie, die Reisende zum Hafen begleiten, um mit dem Gepäck zu helfen und die letzte Zeit noch gemeinsam zu verbingen. Viele Menschen wissen nicht, wann sie nach Boa Vsta zurück kehren werden.

9. Juli 2020 - 19 Uhr

Nach 2 Stunden Wartezeit dann endlich die Aufforderung an Bord zu gehen. Am Eingang zum Hafen kontrollieren Polizei und Sicherheitsdienst nun die Identitäten der Passagiere. Aber bevor wir weiter an Bord dürfen, gibt es noch eine "Gesundheitskontrolle", die extra für das Boarding eingerichtet wurde. Natürlich etwas Neues infolge der Corona-Pandemie. Die Kontrolle ist nichts Aufgerendes: es werden nochmals die Identitäten überprüft und die Temperatur gemessen.

 

Endlich an Bord versucht nun die Besatzung die Passagiere nach ihren unterschiedlichen Zielen zu sortieren, denn es gibt 3 Stopps: Sal, São Nicolau und São Vicente.

 

Ich bitte höflich um einen ruhigen Platz, denn ich möchte die Zeit nutzen zum Schreiben. Ich bekomme eine ganze Reihe für mich: 5 Tische mit jeweils 4 Stühlen. Aber nicht für lange. Kurz danach kommen viele junge Frauen mit noch viel mehr kleinen Kindern. Ich habe das Gefühl, dass mehr als die Hälfte der Passagiere Kinder sind. Ich muss auch nochmal meinen Platz wechseln, denn da wo ich sitze wollen die Mütter eine Matratze hinlegen, damit die Kinder einen Platz zum Schlafen haben.

 

Im Vergleich zu früheren Reisen sind viel mehr Menschen an Bord. Leider auch viele unglückliche Menschen, was ja kein Wunder ist zu Zeiten wie heute. Durch Corona und das Ausbleiben der Touristen haben die meisten Menschen ihren Job verloren. Sie kehren zu ihren Heimatinseln zurück und haben entsprechend viel Gepäck dabei. Gerade für diejenigen mit vielen Kindern ist es ziemlich chaotisch zusätzlich ihr ganzes Gepäck zu managen.

 

Die Lebenshaltungskosten auf Boa Vista sind im Vergleich zu den anderen Inseln sehr hoch - egal ob mit oder ohne Touristen. Aber aufgrund des Tourismus-Booms kamen in den letzten 10 Jahren viele Menschen nach Boa Vista auf der Suche nach einem besseren Leben. Mindestens 80 bis 90% der Einwohner sind vom Tourismus abhängig. Nun, wo es keinen Tourismus gibt, müssen wir alle ums Überleben kämpfen. Und das Leben bei der eigenen Familie ist natürlich viel günstiger, schon allein deshalb, weil die Mietkosten wegfallen.

Seit Wiederaufnahme der Bootsverbindungen zwischen den Inseln haben schätzungsweise 5.000 Menschen bereits die Insel verlassen.

Es geht endlich los

9. Juli 2020 - 21 Uhr

Gut 2 Stunden, nachdem wir an Bord gekommen sind ist endlich alles sortiert und sämtliches Gepäck verstaut, so dass es endlich losgehen kann. Nun heißt es Leinen los und das Horn unseres Schiffes erklingt beim Verlassen des Hafens.

 

Wir müssen Masken tragen an Bord des Schiffes. Einige Menschen wehren sich dagegen, werden aber höflich von der Besatzung aufgefordert, sich an die Vorschrift zu halten.

 

In den unteren Decks versuchen die meisten Menschen zu schlafen. Auf den oberen Decks hingegen verbreitet sich etwas wie eine leichte Partystimmung. Nicht so ausgelassen, wie es zu besseren Zeiten eigentlich der Fall ist. Aber zu Beginn der Reise sind die Menschen trotzdem in relativ guter Stimmung - schließlich werden viele nach langer Zeit endlich ihre Familie wieder sehen.

10. Juli 2020 - 0.30 Uhr

Nach fast 4 Stunden erreichen wir die Insel Sal, wo wir eine Weile im Hafen liegen werden.

 

Normalerweise ist es möglich während der Liegezeit im Hafen das Schiff zu verlassen. Ich erinnere mich an eine Reise wo wir 8 Stunden Aufenthalt auf Sal hatten und wir konnten die Zeit auf der Insel verbringen. Doch dieses Mal ist alles anders: es ist strengstens verboten das Schiff zu verlassen, wenn Sal nicht die Endstation ist. Sal ist nach Santiago die Insel mit den meisten Corona-Fällen im Land.

10. Juli - kurz nach 3 Uhr

Unser Zwischenstopp in Sal dauerte fast 3 Stunden. Kurz nach 3 Uhr in der Nacht geht es weiter auf den längsten Teilabschnitt der Reise Sal - São Nicolau.

 

Viele Menschen sind inzwischen entweder müde oder seekrank oder beides und so suchen sie sich einen Platz zum Ausruhen: auf einem Stuhl, einer mitgebrachten Matratze, einer Decke oder einfach auf dem blanken Fußboden.

 

Die Party auf dem Oberdeck dauert immer noch an, wenn auch die Anzahl der Gäste inzwischen merklich geschrumpft ist. Schon bald wird es sehr ruhig auf dem Schiff - wenn der Motorlärm nicht wäre.

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der Hafen von Tarrafal (São Nicolau)

10. Juli 2020 - 11.30 Uhr

Nach ca. 8 Stunden können wir die Küste der Insel São Nicolau erkennen. Es ist recht dunstig, so dass zunächst kaum die Form der Berge erkennbar ist. Erst als wir uns Tarrafal nähern - der Stadt mit dem Haupthafen von São Nicolau - können wir das Land deutlich erkennen. es ist 11.30 Uhr als wir im Hafen anlegen.

 

Zum Glück konnte ich auch einige Stunden Schlaf finden während der Fahrtzeit, die meisten meiner Mitreisenden haben ziemlich lange geschlafen.

Ich weiß nicht, ob ich das Schiff hier verlassen darf, aber ich wünschte ich könnte es. Ich war lange nicht mehr auf São Nicolau und weiß nicht, ob die Leute die ich hier kannte noch immer hier sind.

 

Abgesehen von den Bergen ist Tarrafal ein Ort wie jeder andere Küstenort der kapverdischen Inseln:  viele Fischerboote liegen vor Anker und an dem kleinen (dunklen) Sandstrand neben dem Hafen sieht man einige Jungendliche, die das Meer und die Sonne genießen. Abgesehen davon sieht man nicht viel von dem, was im Dorf vorgeht, aber es scheint ziemlich ruhig zu sein.

 

Die Menschen an Bord, die mit São Nicolau ihr Ziel erreicht haben, werden langsam unruhig. Aber sie müssen noch etwas Geduld aufbringen. Sie fangen an ihre Habseligkeiten und Gepäck zusammen zu packen und sich auf die oberen Decks zu begeben.

 

Es hieß zunächst, dass wir ca. 2 bis 3 Stunden im Hafen liegen werden, aber die Sache mit dem Zeitplan hatten wir ja anfangs schon mal erwähnt. Nachdem wir bereits 4,5 Stunden im Hafen lagen wurden die Menschen langsam unruhig. Die Passagiere für São Nicolau hatten das Schiff lange verlassen, aber es gab ein paar Probleme mit neu eincheckenden Passagieren. Man nannte uns nicht den Grund, aber wahrscheinlich hatte es etwas mit dem Virus zu tun - auch auf São Nicolau gibt es inzwischen ein paar Fälle, die von der Insel Sal "importiert" worden sind.

10. Juli 2020 - 15.30 Uhr

Endlich heißt es Leinen los für den letzten Teilabschnitt unserer Reise São Nicolau - São Vicente, unser endgültiges Ziel. Dieser Teil sollte nochmal ca. 4 Stunden dauern.

 

Langsam spüren wir die Aufregung, die sich unter den Passagieren verbreitet. Die Stimmung hellte sich deutlich auf - wir wollten endlich alle von Bord.

 

Wir passieren die 3 einsamen Inseln auf dem Weg zwischen São Nicolau und der Nordküste von São Vicente, die früher mal ein Paradies für die Fischer waren. Inzwischen sind sie ein Naturschutzgebiet und jede Aktivität ist strengstens verboten - lediglich für Studienzwecke über die endemischen Vogelarten und die wenigen Pflanzen dürfen die Inseln betreten werden.

 

Während der Fahrt treffe ich übrigens Kula, er war früher als Busfahrer für die Touristen auf Boa Vista tätig. Er hat die Insel mit seiner gesamten Familie auf ungewisse Zeit verlassen. Er und seine Frau sind arbeitslos und mit den Kindern und den Rechnungen die es zu begleichen gibt haben sie beschlossen, nach Mindelo (São Vicente) oder Porto Novo ( Santo Antão) zu gehen und versuchen dort einen Job zu finden, bis sich Dinge zu einem Besseren wenden. Sowohl in Mindelo als auch in Porto Novo haben sie Familie, wo sie leben können.

 

Nach ca. 3 Stunden Fahrt erreichen wir die Nordküste von São Vicente. Diese müssen wir umrunden um in den größten Hafen der Kapverden - Porto Grande - zu gelangen. Wir brauchen nun noch ca. 1,5 Stunden.

Mindelo (São Vicente)

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der Hafen von Mindelo (São Vicente)

10. Juli 2020 - 20.00 Uhr

Schließlich erreichen wir den an der Westküste gelegenen Hafen.  Es ist bereits dunkel und Mindelo ist von vielen Lichtern erleuchtet.

 

Leider heißt es weiterhin: Geduld. Als erstes verlassen die auf São Nicolau zugestiegenen Passagiere das Schiff. Sie waren getrennt von uns untergebracht (wegen der aktiven Fälle auf der Insel)  und werden hier von Militär, Krankenhauspersonal und Polizeibeamten in Empfang genommen. Wahrscheinlich müssen sie zunächst in Quarantäne.

 

Die meisten Passagiere kamen von Boa Vista, welches seit vielen Wochen frei von Corona-Fällen ist. Trotzdem fragen wir uns, ob wir auch unter Quarantäne gestellt werden. Langsam spüre ich Angst, Stress und auch etwas Wut unter den Passagieren. Wir sind nun seid 26 Stunden auf dem Schiff und wollen es endlich verlassen.

10. Juli 2020 - 21 Uhr

Finally - den ersten Teil meiner Reise habe ich hinter mich gebracht und ich kann endlich von Bord. Aber mein endgültiges Ziel ist die Nachbarinsel Santo Antão, denn ich möchte meine Mutter besuchen. Seit 2 Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen.

 

Die meisten meiner Mitreisenden scheinen als Endziel Santo Antão zu haben - zumindest dem Dialekt nach, den sie sprechen. Einige von ihnen kenne ich, die meisten allerdings nicht.  

 

In Mindelo erwartet mich zunächst mein Bruder.

 

Mindelo ist eine Großstadt - absolut kein Vergleich zu Sal Rei. Fast alle Straßen sind asphaltiert und mit Bäumen gesäumt. Busse kommen und gehen.... Die Stadt hat sich in der Vergangenheit rund um den Hafen stark weiter entwickelt. Die meisten Schiffe hier kommen von Nord- oder Südamerika.

Der Einfluss anderer Kulturen ist hier überdeutlich zu erkennen. Der Hafen ist der Hauptknotenpunkt aller Schiffe der kapverdischen Inseln.

 

Bei meinem Bruder zu Hause angekommen brauche ich dringend eine Dusche. Nach etwas zu Essen bin ich direkt bereit zum Schlafen. Ich fühle ich wie betrunken, aber mein Bruder sagt, das sei völlig normal. Zum Glück bin ich nicht seekrank geworden.

11. Juli 2020 - 8 Uhr

Ich habe wunderbar geschlafen und mache mich direkt auf den Weg ins Reisebüro. Ich möchte mein Ticket für die Fährfahrt nach Santo Antão kaufen. Ich genieße den Rundgang durch die Stadt.

 

Um 2 Uhr am Nachittag muss ich am Hafen sein. Die Zeit bis dahin verbringe ich mit der Frau und den Kindern meines Bruders.

Epilog

Falls jemand von euch mit dem Gedanken gespielt hat diese Reiseart zur Erkundung der kapverdischen Inseln zu wählen - wir hoffen der Bericht hat euch nicht zu sehr abgeschreckt :-)

 

Die kapverdischen Inseln mit dem Boot zu bereisen ist tatsächlich etwas abenteuerlich und für manche Menschen auch stressig. Aber die meisten versuchen, das Beste daraus zu machen. Manchmal werden Freundschaften geschlossen, man versucht immer  im "No Stress"-Modus zu bleiben. Aber wenn etwas nicht nach Plan läuft, kann der Stresspegel auch mal in Richtung Himmel ausschlagen.

 

Es gibt inzwischen auch sogenannte "fast ferrys" die zwischen den Inseln Passagiere transportieren. Sie schaffen die Strecke ca. in einem Drittel der Zeit.

 

Ein Abenteuer auf See sollte ein Teil eines jeden Lebens sein - hoffentlich ohne seekrank zu werden.

Die Inseln auf diese Art zu entdecken ist sicher nicht die beste Option - ein zuverlässiger Flug wäre da nicht zu verachten. Aber es könnte sehr lustig werden. Es ist erstaunlich wie die Dinge am Ende tatsächlich funktionieren, denn manchmal fehlen jegliche Informationen über den Zeitplan.

Am Ende ist Misael gut an seinem Zwischenstopp angekommen.

 

Wir hoffen, die Geschichte hat euch gefallen und vielleicht ein bisschen zum Schmunzeln gebracht. Misael hat versprochen, uns auf seiner weiteren Reise mitzunehmen - ihr könnt euch also auf weitere lustig-interessante Artikel freuen.

Story: Misael

Text: Andrea

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Andrea & Frank Hennicke - Sal Rei - Ilha da Boa Vista - Cabo Verde